Diskussionsrunde zur Wahl des Europäischen Parlaments
Der Countdown läuft. Kurz vor den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung und zum Europäischen Parlament jagt eine Diskussionsveranstaltung die nächste. Unter diesen Umständen ist eine Zahl von 33 Teilnehmern, die fünf Kandidaten für das Europaparlament auf den Zahn fühlen wollen, durchaus akzeptabel. Eingeladen in das Interkulturelle Zentrum am Gotthardtkirchplatz hatte die Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft (BBAG) zum Thema: „Migration, Integration und Entwicklungspolitik“ vor dem Hintergrund der zunehmenden Gefahr für Europa durch Rechtspopulismus/Rechtsextremismus.
Dabei ging es Veranstaltern wie Besuchern wohl weniger um den Neuigkeitswert der Informationen als vielmehr darum, wie überzeugend sich die neuen Kandidaten für das Europaparlament zu präsentieren verstanden. Erste Beobachtung: Sie waren erstaunlich jung und eigenständig.
Marie Glißmann (SPD, Podium 2. v.r.) wollte die positiven Aspekte ihrer ostdeutschen Herkunft – Gemeinschaftsgeist, Solidarität und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn – in den europäischen Diskurs einbringen. Lukas Küffner (Piraten, Podium 1. v.l.), gerade mal 22 Jahre alt, plädierte für den Abbau bürokratischer Hürden bei der Integration der Ausländer in den deutschen Arbeitsmarkt, „andere europäische Länder machen uns vor, wie das geht“. Das Vorurteil, die Ausländer nähmen den Einheimischen die Arbeitsplätze weg und viele seien Sozialschmarotzer, entkräftete er mit handfesten Fakten. Viviane Triems (Grüne, Podium 3. v.r.) griff einen Impuls aus dem Publikum auf, die These von der EU als Wertegemeinschaft kritisch zu hinterfragen. Bislang sei die Europäische Union vor allem eine Wirtschaftsgemeinschaft, in der die wirtschaftlich stärksten Länder das Sagen haben. Und Werte wie Freiheit, Gleichheit oder die biblischen Gebote „Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Besitz“ werden wie eine Monstranz vor sich her getragen, aber im Alltag nicht wirklich gelebt und bei Bedarf außer Kraft gesetzt. Außerdem würde sich die Frage aufdrängen, ob die westliche Sicht auf einen gemeinsamen Wertekanon nicht durch Werte ergänzt werden müsse, die anderswo im Focus stehen, etwa auf der Seite der Schwachen zu sein, Freiheit nicht nur als Ellenbogenfreiheit zu begreifen, Gemeinnutz vor Eigennutz zu stellen.
In diesem Kontext äußerte sich auch Christian Arnd (Die Linke, Podium 1. v.r.). Außerdem stellte er klar, dass das parlamentarische Reglement der EU einer gründlichen Reform bedürfe, die Hinterzimmer-Absprachen verhindere. Seine Partei sei allerdings gegen die von den anderen Kandidaten befürwortete Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips bei EU-Beschlüssen, mit Ausnahme der Beschlüsse zur Erhebung von Steuern. Während die Vertreter der eingeladenen Parteien – Dr. Christian Ehler von der CDU musste seine Teilnahme im letzten Moment leider absagen – mehrheitlich dem links-progressiven Lager zuzurechnen sind, verkündete Maja Pfister (FDP, Podium 2. v.l.) die reine Lehre vom ewigen Wirtschaftswachstum, den Selbstregulierungskräften des Marktes, gesundem Konkurrenzdenken und einem Leistungswillen, der gerecht entlohnt werden müsse. Das Publikum reagierte darauf nicht eben begeistert. Jemand grummelte: Apropos gerecht, was ist mit der Schere zwischen Arm und Reich, die immer weiter auseinander klafft?
Zweite Beobachtung: Niemand ließ einen Zweifel daran, für Frieden und Demokratie zu sein. Bei den Vorstellungen darüber, wie eine friedliche, demokratisch verfasste Gemeinschaft aussehe, scheinen die Meinungen aber nach wie vor weit auseinanderzugehen. Dabei lehrt einen doch die Geschichte , dass Frieden noch nie durch forcierte Aufrüstung erreicht worden ist, und der gesunde Menschenverstand führt zu dem Schluss, dass jede Demokratie so lange eine Als-ob-Demokratie bleibt, wie die Reichen und Mächtigen dieser Welt nach ihren eigenen Spielregeln agieren.
Dr. Uta Sändig